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DIAMETRALE GESCHENKE
Lena Goldsteiners künstlerischer Prozess
Von Anne Schmidt
Herbst 2021
Lena Goldsteiners künstlerische Arbeit greift materielle sowie experimentelle Prozesse auf und kombiniert sie mit Anachronismen als gegenläufige Strategie der Kunst. In der Arbeit Nein Looser <3 dienen aus Stein gemeißelte Schuhe als Podest für eine aufrechte, selbstbewusste Pose im touristischen Hallstatt. Hier hielt sich LG für eine Kunstresidency auf.
Der Titel der Arbeit referiert zum Mobbing unter Teenagern. Nein Looser <3 ist ein in den Staub der Schulkunstwerkstatt geschriebenes Zitat, LGs zeitweiligen Arbeitsort. Die grobe Vulgarität der Teenager wechselt sich mit mutwilliger Verletzung und sexueller Anziehung ab, ihre Diskussionen kreisen um wer- mit-wem, ihr künstlerischer Ausdruck sind plastische Abformungen von Brüsten, Vulven, Penissen. Nein Looser <3 formuliert bewusst ein Aufstehen aus gewaltvollen Beziehungen.
Um die Schuhe zu modellieren, verwendet LG die Selfie Moves der Tourist_Innen vor der Hallstatter Stadtkulisse, und referiert so zu queerem Voguing, das Elemente des Modelns auf dem Laufsteg aufgreift, um Ausgrenzung und Scham zum Ausdruck der eigenen Macht zu erklären. LG nimmt den Akt des Selfies als künstlerische Übung und füllt ihn mit femininen, sexuellen Begehren und kokettem Humor, wobei sie Formen und Konzepte ihrer Umgebung aus Tourismus, Traumata, Teenager Vulgarität und Kunstresidency ständig verschiebt.
Die Abstraktion der Sprache und die Komplexität des Zusammenhangs von Sprache, Kultur und Identität thematisiert die Arbeit „...%!?“ (Speechbubbles). Das Sprache ein Hindernis ist, ein Mittel der Ausgrenzung, von Bildungsklassizismus bis hin zum Indikator für und gegen Abschiebung ist Grundlage für LGs antagonistischen Sprechblasen aus Holz. Formal balanciert die Kommunikation zwischen runden Bubbles und zackigen Blitzen in einem Moment der Verbindung, Berührung und losen Kontakts der verschieden strukturierten Hölzer.
In „...%!?“ (Speechbubbles) ist Sprache durch den Zufall lesbar. Sie bedient sich Zeichen und Ahnungen um den Inhalt nicht sprachlich festzulegen, sondern die Form des Sprechens als ästhetischen Moment festzulegen. Die künstlerische Erforschung des Sprechens legt die Diskrepanz zur Undeutbarkeit des Inhalts offen.
In dieser verhandelnden Desidentifikation inbegriffen ist LGs eigene Authorinnenschaft. Lena Goldsteiner reagiert mit sich ändernder Namensgebung immer wieder neu auf ihre ausgestellten Arbeiten und den Ausstellungsort. Sie stellt die Beziehungen zwischen Kunstwerk, Ort und Künstlerin damit selbst als metaphorische Konstruktion aus.
Charakteristisch für die reflektierte An- oder Abwesenheit der Künstlerin sind ihre beiden Murals Birds dont Kamizi to me und Johanna Grete Elli Erika. Titelgebend sind der falsch verstandene Song „Words don‘t come easy“ und der Klang aufeinander folgender weiblicher Namen als gefühlvoller Ausdruck von Liebe und Freude in Beziehungen unter Frauen.
An den Wänden von Diplomräumen vor und nach den Diplomen gezeichnet, reißen sie ein Loch in das institutionell verwaltende Verfahren des akademischen Abschlusses als Künstler_in. Im aktivistischem Habitus wurden die Murals von LG über Nacht und ohne Vorankündigung mit Bleistift ohne Skizze gezeichnet. Die Balance zwischen Fragilität der Zeichnungen und der Handlung der wandumfassenden Malerei behauptet eine strukturelle Verweigerung. Teil von LGs Malprozess werden die Malerarbeiten der Hausarbeiter, die die Bleistiftmurals wegen der Diplomvorgaben übermalen.
Die Arbeit glorias glories glorios nimmt visuelle Spuren der Politiken und Denksysteme des Kolonialismus und Rassismus, die in das Gebäude der Bildhauereiateliers eingeschrieben sind, ins Visier. Der äußere Garten der Bildhauereiateliers war 1896/97 für Exotische Menschenshows in Verwendung. Solche ethnographischen Showcases sind ideologiebildende Praktiken, die weiße europäische Menschen als Privilegierte installierte und sie damit als koloniale Subjekte konstituierte. Glorias glories glorios ist ein Peephole an der Wand des Gartens, die den weißen Blick symbolisch markiert. Die Verwendung einer Hagebutte stellt hier die Frage nach Herkunft, Othering, und Migration von Kulturen. Glorias glories glorios ist ein Verhindern des umherschweifenden Blicks der Kunstbeschauer_Innen, des unschuldigen Flanierens und ein Nein zur Nostalgie, dem Träumen und Schwärmen von was mal war in der „Spezialschule“.
Die geschmiedeten Metalwerkzeuge Queers on Earth entsteht unter Verwendung von Materialien, die zu Lebensumständen referieren. Die Werkzeuge für Erdarbeiten verwendete LG für Ausgraben und Gartenarbeiten auf dem Land. Aus der Arbeit des Umgrabens heraus wird Erde zum Material für die nächste Arbeit. LG schafft in der prozessorientierte Arbeitsweise Materialkugeln, die wiederrum den Ausgangspunkt bilden für das Offenlegen der Materialschichten, die wie ein Geheimnis Schicht für Schicht in einander gepackt sind.
Den Moment des Öffnens der Kugeln bezeichnet LG als sich selbst beschenken. LG stellen die Frage, ob es für das Material eine Bedeutung hat, sich in dem Aggregatzustand Kunstwerk zu befinden. Diesen Zustand Kunstwerk beschreibt LG als kurze Unbeweglichkeit im sonst dynamischen Prozess.